Empowerment
Power People: Najell x Tobias Richter “Es sollte immer um meine Rolle als Hebamme und nicht mein Geschlecht gehen”
Der Beruf Hebamme ist eine Frauendomäne in Deutschland. Schätzungen zu Folge sind von 27.000 Hebammen nur 30 männlich. Doch warum ist das so und wie nennt man eine männliche Hebamme? In diesem Interview unserer Serie Najell x Power People sprechen wir mit Tobias Richter (@heb.tobi98). Der 26-jährige Berliner, der auch als Lehrkraft für zukünftige Hebammen tätig ist, setzt sich für Diversität im Hebammenberuf ein.
Warum bist du Hebamme geworden? Was fasziniert dich an dem Beruf?
"Ich bin Hebamme geworden, weil mich die Arbeit mit den werdenden Familien fasziniert. Die Möglichkeit, Menschen in einer so wichtigen Lebensphase zu begleiten, hat mich einfach angezogen. Besonders die Mischung aus medizinischem Fachwissen, Empathie und emotionaler Unterstützung faszinieren mich und das bringt dieser Beruf mit sich."
Du hast in einem anderen Interview erzählt, dass dein italienischer Kollege, der auch als Hebamme arbeitet, überrascht war, dass es in Deutschland so ungewöhnlich ist, als Mann in diesem Beruf tätig zu sein. Was sind die Unterschiede in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, wie Italien? 
"In Italien und vielen anderen Ländern ist es üblicher, dass Männer in diesem Beruf tätig sind. Spitzenreiter sind tatsächlich die afrikanischen Länder. Da es damals nicht genug Hebammen gab, die in ländlichen Gebieten arbeiten wollten bzw. konnten, wurden auch Männer für die Ausbildung zugelassen. In Deutschland dürfen Männer sich erst seit 1985 als Hebamme (bzw. damals noch Entbindungspfleger) ausbilden lassen. Man merkt aber, dass das Berufsfeld auch für Männer bzw. diverse Personen aufgeschlossener wird. Es gab einfach Länder vor uns, die uns deutlich voraus waren."
Hattest du es dadurch als Mann schwerer, in der Ausbildung ernst genommen zu werden?
"Ja, in der Anfangszeit war es manchmal besonders schwierig, ernst genommen zu werden. Ich habe auch mal daran gedacht, alles hinzuwerfen. Teilweise wurde man ignoriert, aber das ging nicht nur mir so, sondern meinen Mitschülerinnen manchmal auch. Gute Leistungen wurden fast nie erwähnt. Es war eine sehr harte und intensive Zeit, die mir sehr viel abverlangt hat."
Wie viele männliche Hebammen gibt es deines Wissens aktuell in Deutschland? Sind es in den letzten Jahren mehr geworden?
"In Deutschland gibt es nur wenige, schätzungsweise ca. 25- 30. Die Zahl ist in den letzten Jahren leicht gestiegen im Vergleich dazu, als ich mich 2015 auf einen Ausbildungsplatz beworben habe."
Du hast dich als Delegierter im Bundesrat der werdenden Hebammen mit dafür eingesetzt, dass deine Berufsbezeichnung 2020 mit der Reform der Hebammenausbildung von “Entbindungspfleger” in “Hebamme” umgeändert wird. Gab es auch Gegenstimmen? Und ist es nicht trotzdem manchmal komisch, einen Titel zu tragen, der vor allem weiblich konnotiert ist?
"Ich erinnere mich tatsächlich an keine Gegenstimmen bei dieser Abstimmung. Für mich ist es auch nicht komisch, die Bezeichnung "Hebamme" zu tragen. Ganz im Gegenteil! Ich sehe es als Anerkennung der Gleichstellung im Beruf. Schlussendlich sollte es immer um meine Funktion und Rolle als Hebamme und nicht unbedingt immer um das Geschlecht gehen."
Wie viele Geburten hast du schon betreut und welche davon ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
"Ich habe bisher ca. 600 Geburten betreut. Es gibt nicht diese eine Geburt. Über die Jahre sind einige schöne dabei gewesen, an die ich gern zurückdenke. Seien es die spontanen Geburten von Zwillingen (ich selbst bin ein Zwillingskind) oder eine Wassergeburt einer Bekannten, die ich betreuen durfte bzw. Geburten, bei denen ich auch schon bei der letzten Geburt die begleitende Hebamme war."
Auf deinem Instagram-Account @heb.tobi98 sprichst du auch offen über Themen, wie Fehlgeburten oder Gewalt unter der Geburt. Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für Frauen nach solchen traumatischen Ereignissen? Sind Hebammen dafür die richtige Adresse?
"Es gibt hierbei verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten, wie psychologische Betreuung, spezialisierte Beratungsstellen und bzw. oder Selbsthilfegruppen. Hebammen sind oft die ersten AnsprechpartnerInnen und können eine wichtige emotionale Unterstützung bieten, sowie an die geeigneten Fachkräfte weitervermitteln. Hebammen sind aber zum Teil auch selbst von Gewalt betroffen. Auch da gibt es somit akuten Handlungsbedarf, damit alle Personen mit einem guten Outcome aus der Geburt heraus gehen."
Siehst du dich als Botschafter für den Beruf? Und welche Reaktionen bekommst du auf deinem Instagram-Account bzw. generell im “anonymen Internet”?
"Ja, ich glaube, über die Jahre habe ich diese Art „Botschafterrolle“ bekommen. Auf meinem Instagram-Account @heb.tobi98 versuche ich Einblicke in meinen Berufsalltag zu teilen. Das mache ich aber tatsächlich unregelmäßig und ganz entspannt. Die Reaktionen im Internet sind größtenteils positiv, teilweise gibt es auch vereinzelt negative Kommentare und manchmal leider auch sehr geschmacklose Kommentare, welche von scheinbar sehr frustrierten anonymen Personen kommen. Aber so ist das Internet heutzutage."